Oguz Topac spricht Klartext. „Mit eigenen Augen habe ich mitbekommen, dass ein Anti-Aggressionstraining Jugendliche mit sozialen Problemen nicht weiterbringt.“ Der Mann Ende 20 ist Sozialarbeiter am Marxloher Petershof. Er ist beteiligt an einer Initiative des katholischen Sozialzentrums, die den traditionellen Umgang mit abgeleisteten Sozialstunden für Jugendliche neu aufstellt. „Junge Männer, die hier in Marxloh auch aus bulgarischen und rumänischen Familien kommen, brauchen Gerichts-Beschlüsse. Aber sie brauchen auch die Auseinandersetzung mit sich selbst.“
Auf dieser Basis vereinbarten die Jugendgerichtshilfe und der Petershof 2020 ein neues Konzept; es konnte wegen Corona aber nie ganz umgesetzt werden. Dieses „Petershofer Modell“ bietet zukünftig Jugendlichen Seminare und begleitete[M1] Einsätze der sozialen Arbeit im Stadtteil an. Petershof-Leiter Pater Oliver Potschien: „Vielleicht gelingt durch die verordneten Sozial- und Arbeitsstunden manch einem sogar ein Einstieg in Minijobs bei uns.“ Schönreden wollen Topac und der Prämonstratenser Chorherr von der Abtei in Hamborn aber nichts. Topac hat einen Draht zu vielen Jungs in Marxloh; er ist auch Mitbegründer des bekannten Petershof-Boxclubs. Und Pater Oliver weiß, dass automatisch Menschen abseits der „normalen“ Gesellschaft kein Weg in die Arbeit und zur Integration führt.
Seit Jahren begleitet der Petershof pro Jahr rund 100 Teilnehmer, meist junge Männer bei gerichtlich angewiesenen Sozialstunden. „Die Entscheidungen von Gerichten sind für Jugendliche häufig ein verunsichernder Schock“, weiß der Pater. „Wer schon länger in Deutschland ist, versteht vielleicht die gerichtliche Sprache.“ Andere fühlten sich in der Folge abgestempelt. Dennoch müssten Verstöße geahndet werden. „Diesen Schwierigkeiten trägt das neue Petershofer Modell Rechnung; es relativiert aber zugleich den Sühnecharakter der Gerichtsentscheidung nicht."
Zum Konzept gehören Seminare, Sozialstunden und Stadtteil-Arbeit, es läuft nach den Sommerferien an. Es ist mitgeprägt durch Erfahrungen katholischer Sozial- und Jugendarbeit und will gerade junge Menschen auf ihre Spur bringen. Topac: „Die Jungs, die zu uns kommen, gehen dann im Frühherbst mit unseren Stadtteil-Paten auf die Straße.“ Paten sind vier städtisch bezuschusste Petershof-Mitarbeiter. In deren Muttersprachen begegnen sie mit den Jugendlichen dann Familien und vielleicht auch Clans im Stadtteil.
Für Topac zählt schon zuvor im Seminar die Auseinandersetzung mit Konflikten. „Neu Zugewanderte haben unterschiedliche Konzepte von Zusammenleben, der eigenen Identität und der Rolle des Staates als ein Gegenüber“, erklärt eine schriftliche Information des Petershofes zum Seminar. Auch Herkunft und die eigene Heimat sind Thema. Topac: „Später kommen wir über Leben, Arbeit und ein gutes Zusammenleben ins Gespräch.“ In seiner Muttersprache Türkisch erreicht der junge Sozialarbeiter auch Bulgaren, die Sprachen sind ähnlich.
Pater Oliver blickt eher optimistisch auf den Herbst. „Wir starten neu. Sozialarbeit mit langem Atem und die Erlebnisse der Jugendlichen unterwegs im Stadtteil können ihnen helfen.“
Ein einmaliges Positivbeispiel der Vergangenheit ist Ramon (Name geändert). Heute 20 Jahre alt, kam er mit 14 oder 15 auf gerichtliche Anordnung für Sozialstunden zum Petershof; sein Vater und drei ältere Brüder saßen gerade Strafen ab. Pater Oliver: „Als jüngster Mann in der Familie musste Ramon deshalb zu Haus alle ihre Pflichten in der Familie allein erledigen.“ Der Heranwachsende bestand die Herausforderung. Und er schaffte nach den Sozialstunden den Einstieg in einen Petershof-Minijob als Hausmeister und Helfer für Menschen am Sozialzentrum. Es folgten der Schulabschluss und eine Ausbildung des jungen Rumänen. Heute arbeitet Ramon im Restaurant und steht als Familienvater auf eigenen Beinen. Mit seiner Frau hat er auch zwei kleine Kinder.
Samir, ein anderer Gast am Petershof, schaffte nach den Sozialstunden den Einstieg in einem Minijob am neuen Kiosk. 2022 baute der Libanese den Kiosk mit auf. Nahe der Kirche gehen hier Menschen täglich ein und aus und kaufen am Kiosk Getränke, kleine Croissants oder Süßigkeiten.
Ramons Weg und der Job des jungen Libanesen sind aber keine Blaupausen für einen Aufstieg anderer zur Selbstständigkeit. „Nichts für Menschen ist programmierbar“, sagt Pater Oliver. Menschen absolvierten deshalb im Sozialprojekt keine Kurse. „Der Petershof kennt keine Projekte mit ihnen. Stattdessen sprechen wir von langen Wegen und ihrem gemeinsamen Tun mit unseren Teams.“
Langer Atem zählt für Jugendliche in den Sozialstunden. Er gilt auch für Menschen, die zu öffentlichen Unterstützungsangeboten keinen Zugang finden. Der Petershof ist für alle wichtig als Treff. Oft wird er Lebensmittelpunkt und einziger Halt. Für einige hat er das Zeug zum Hoffnungsort.
Jobs am Petershof
Jedwede Arbeit der gut 30 Beschäftigten am Petershof ist aus Spenden finanziert. Ausnahmen sind lediglich die kirchlich bezuschussten Tätigkeiten des Leiters Pater Oliver und seiner Stellvertreterin Schwester Ursula Preußer. So sind Privatpersonen, Clubs wie Inner Wheel und Firmenspenden als Stützen der Arbeit am Petershof gefragt.
Mehr Infos
gibt es unter https://www.georgswerk.de/petershof;
ein Konto am Fuß der angegebenen Website.